Eigentlich wollte ich diese Seite gar nicht herausgeben. Im ersten Jahr der Online-Schaltung meiner Homepage verging jedoch kaum eine Woche, ohne dass mich eine E-Mail erreichte mit der besorgten Frage: "Stechen Libellen?" (Ein Umstand, den wohl jeder Betreiber einer Libellen-Internet-Seite kennt.) Schon vor über 50 Jahren schrieb dazu Schiemenz in seinem Buch: "Libellen stechen nicht! Nimm sie ruhig in die Hand, es passiert dir nichts. Sei aber achtsam, daß du diese fliegenden Edelsteine nicht verletzt und zerstörst. Jeder, der sich für diese schönen Tiere interessiert, kann sich also unbesorgt auch in der Natur mit ihnen beschäftigen, denn die Libellen haben weder einen Stechrüssel am Kopf, noch einen Giftstachel am Körperende." Trotzdem hält sich hartnäckig die Mär, dass Libellen stechen. Ich will im Folgenden versuchen zu ergründen, wieso es auch heute noch zu solchen Fragen kommen kann.
Unsere Altvorderen gaben den Libellen Namen wie Teufelsnadeln, Augenstecher, Pferdestecher usw., ja selbst heute heißen Libellen (eigentlich nur die Großlibellen) im englischsprachigen Raum dragonflies (Drachenfliegen). (In seinem Büchlein listet Nitsche akribisch auf 41 Seiten überlieferte Namen für Libellen aus Deutschland, anderen europäischen Ländern sowie teilweise auch Regionen anderer Kontinente auf. Er teilt sein Büchlein unter anderen in die Kapitel 'Verwünschungs- und Fluchnamen', 'Tabunamen', 'Berufsnamen' (mit acht Unterkapiteln), 'Vergleich mit einem schlanken, meist spitzen Gegenstand' und 'Haken-Namen'.) Irgendwie mussten unsere Ahnen ja zu der Namensgebung gekommen sein. Das geschah fast immer durch Beobachtung, wenn auch (in unserem Fall) durch eine leider nicht sehr genaue. Wo Tiere (Pferde, Kühe usw.) sind, da sind auch Insekten. Das trifft besonders für Weidetiere zu, die wegen der Tränke fast nur in Wassernähe gehalten wurden. Jedoch waren es nie die Libellen, die den Tieren gefährlich wurden. Vielmehr war es die Beute der Libellen, kleine Insekten, hauptsächlich Mücken, Bremsen und Fliegen. Wo sie vorkamen (noch dazu in Massen), da waren auch die viel größeren Libellen, die diese kleinen Insekten in der Nähe der Tiere ergriffen. Dazu machten sie kleine Sturzflüge auf das Pferd oder die Kuh zu. Ein Beobachter sieht nicht die kleinen Insekten, sondern nur die Libellen, wie sie auf das Pferd zustürzen und es vermeintlich stechen. Eventuell fand man auch noch Larven (Maden) der Hautdasselfliege, die unter der Haut der Pferde leben. Das mussten also die Larven der Libellen sein, der Tiere, die das Pferd gestochen haben, der Pferdestecher also.
Doch auch ihre (allen Insekten eigene) Kaltblütigkeit mag für die Geschichten über die Gefährlichkeit von Libellen verantwortlich sein. Nach kalten und kühlen Nächten müssen Libellen erst auf "Betriebstemperatur" kommen, um elegant und rasant fliegen zu können. Dazu suchen sie helle Stellen auf (Birkenstämme, Steine, verwitterte Holzpfähle, aber auch helle Kleidung des Menschen), um die Sonnenstrahlen und ihre reflektierte Strahlung zu nutzen. Eine Fliege oder eine Mücke schlägt man schnell tot, sollte sie auf der Kleidung landen, um sich hier zu wärmen. Eine Libelle, zumal sie ja ein großes Insekt ist, erschreckt den Menschen doch sehr. Auch deshalb, weil man eine Libelle nicht anfliegen hört. Sie hat eine Schlagfrequenz von nur ca. 30 Schlägen pro Sekunde, w�hrend eine M�cke ca. 200 mal pro Sekunde die Fl�gel bewegt. Eine Libelle ist also "plötzlich da". Wenn schon eine kleine Mücke einen schmerzhaften Stich zufügen kann, wozu muss dann erst eine große Libelle im Stande sein?!
Dabei haben Libellen überhaupt keine Stachel! Nur einige Weibchen haben einen Legebohrer (siehe Seite Eiablage). Dieser ist jedoch so gestaltet, dass er niemals die menschliche Haut verletzen könnte. Zwar kann es einmal vorkommen, dass ein Weibchen versucht, in die Beine eines Beobachters Eier abzulegen, weil sie diese als Eiablagesubstrat erachtet - doch nach recht kurzer Zeit merkt sie dann meistens, dass das "Substrat" zu zäh für die Eiablage ist und sucht eine andere Stelle auf. In die Stiefel oder Hose oder gar Haut werden sie NIE ablegen!
Hat man eine Großlibelle gefangen (was man eigentlich nicht darf, siehe Seite Beobachtungstipps) und setzt diese auf seinen Finger, kann man spüren, dass sie kräftige Mundwerkzeuge haben. Dieses "Zwicken" ist jedoch kein Beißen im eigentlichen Sinne, sondern mehr eine Drohgebärde und ein Abwehrmechanismus, um die Libelle los zu lassen. Der Schmerz ist vergleichbar mit einem Piksen einer Stecknadel in den Finger, und es ist zumeist der Schreck, der das Zwicken schmerzhaft macht. Auch große Großlibellen werden es aber nicht schaffen, eine Blutung beim Menschen zu verursachen oder gar Hautstücke abzubeißen.
Also: keine Angst vor Libellen. Einen Menschen können Sie nicht stechen, sie beißen einen Menschen nicht (jedenfalls nicht aus freien Stücken), und sie kratzen einen Menschen nicht. Sie sind vollkommen ungefährlich!
Literatur, die erwähnt wurde:
Nitsche, G. (1965): Die Namen der Libelle.. Beiheft 3 zum W�rterbuch der deutschen Tiernamen. Berlin: Akademie-Verlag. 41 S.
Schiemenz, H. (1953): Die Libellen unserer Heimat. Jena: Urania-Verlag. 154 S.
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