Nach dem Schlupf der Libelle aus der Larvenhaut (die ja eigentlich keine Haut ist, sondern ein Chitinpanzer) bleibt diese nun leere Hülle am Schlupfort zurück. Sie hat die Funktion für die einzelne Libelle erfüllt. (Böse Zungen könnten sie jetzt Biomüll nennen.) Ist sie nun aber vollkommen funktions-, d.h. nutzlos?
Nein! Mit dieser zurückgelassenen Larvenhaut, der Exuvie, lässt sich am sichersten feststellen, ob sich eine Art auch im Gewässer entwickelt hat. Paarungsverhalten, Eiablage - das sind Hinweise auf eine sogenannte Bodenständigkeit, aber den Nachweis auf eine vollständige Entwicklung vom Ei bis zum fliegenden Individuum kann nur die Beobachtung des Schlupfvorganges oder eben die zurückgelassene Exuvie bringen. Wenn man also am Gewässerrand eine Exuvie gefunden hat, ist es vollkommen sicher, dass sich die Art am Gewässer vermehrt hat und im Gewässer heimisch ist (war). Außerdem ist es heute möglich, mit entsprechender Literatur (z.B. Heidemann & Seidenbusch 1993 und Gerken & Sternberg 1999) und entsprechender Technik nicht nur die Art, sondern auch das Geschlecht zu bestimmen. So erhält man einen viel genaueren Überblick über die Libellen am Gewässer als durch die bloße Beobachtung fliegender Individuen.
Abb. 1: frisch geschlüpftes Weibchen der Grünen Flussjungfer (Ophiogomphus cecilia), unter dem rechten Hinterflügel die zurückbleibende Exuvie
Zwar ist in fast allen Libellenbüchern der Hinweis zu finden, Exuvien seien der sicherste Entwicklungsnachweis von Libellen am Gewässer, doch wird über mögliche Fundorte und eine Suchstrategie kaum berichtet. Deshalb hier nun ein paar Ratschläge, die vielleicht helfen, effektiver nach Exuvien zu suchen und dadurch eher zum Erfolg zu kommen:
Die günstigste Zeit, Exuvien und frisch geschlüpfte Libellen zu finden, ist der erste warme Sonnentag nach einer längeren Schlechtwetterperiode. Die Larven haben im Wasser und im Uferbereich diesen Tag lange erwartet und klettern in großer Zahl aus dem Wasser um zu schlüpfen. Nicht selten kommt es dabei zu einem Massenschlupf, bei dem viele dutzende, manchmal sogar hunderte Libellen gleichzeitig schlüpfen.
Man sollte sich im Klaren darüber sein, welche Libellen an dem bestimmten Gewässer schlüpfen könnten. Dieses lässt sich am einfachsten mit den Biotophinweisen in den einschlägigen Büchern herausfinden. So macht es keinen Sinn, Exuvien der Alpen-Smaragdlibelle (Somatochlora alpestris) an einem Wiesengraben in Schleswig-Holstein zu suchen.
Bevor die Libellen fliegen, müssen sie schlüpfen. Das heisst, Exuvien einer bestimmten Art findet man besonders am Anfang bis etwa kurz vor Ende der Flugzeit. Da Exuvien sehr leicht und zerbrechlich sind, können sie durch Regen, Wind, Wellenschlag u. ä. oft sehr schnell vernichtet werden. Das soll aber nicht heissen, dass man nicht noch im Spätherbst Exuvien von Frühlingsarten finden kann.
Der Lebensraum der Larven muss beachtet werden. In einem betonierten Bachbett können keine Libellen-larven leben. Da nützt auch ein Seggengürtel am Ufer wenig, Exuvien werden nicht zu finden sein. Larven bewohnen die Stellen der Gewässer, an denen Sand oder Schlamm ihnen die Möglichkeit bietet sich einzugraben. In Fliessgewässern besiedeln die Larven ruhige Stellen, also hinter Buhnen oder umgestürzten Bäumen, oder sie leben im Wurzelbereich der höheren Ufervegetation. In der Nähe ihres Lebensraums im Wasser werden die Larven auch schlüpfen.
Manche Arten haben bestimmte Schlupfstrategien und bestimmte Schlupforte. Die Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis) ist streng an die Krebsschere (Stratiotes aloides, eine seltene Pflanze) gebunden, also wird man nur dort oder in unmittelbarer Umgebung zur Krebsschere Exuvien dieser Art finden. Arten der Gattung Flussjungfern (Gomphidae) schlüpfen sehr gerne an Stellen, die nur wenig aus dem Wasser ragen, also auf Steinen oder flachen Lehm- oder Sandufern. Die Exuvien der Granataugen- (Erythromma-) Arten findet man sehr häufig auf den Schwimmblättern von See- und Teichrosen.
Zwar kann der Fachmann die Exuvien auch an Ort und Stelle bestimmen, im Allgemeinen werden sie aber gesammelt und die Art zu Hause bestimmt. Die Exuvien sind mitunter sehr fest im Schlupfsubstrat verankert. Wenn eine leichte Loslösung nicht möglich ist, sollte man lieber die Pflanze unmittelbar über und unter der Exuvie abtrennen als versuchen, die Exuvie mit Gewalt von der Pflanze zu reißen. Dabei werden Teile abbrechen oder gar die gesamte Exuvie zerstört. Zum Transport eignen sich für einzelne Exuvien leere Filmdosen, für mehrere haben sich kleine Gläser mit Schraubdeckeln bewährt. Durch die Möglichkeit der statischen Aufladung der Filmdosen (durch Reiben am Wollpullover oder -tuch) ist auch ein sicherer Transport gewährleistet; die Exuvien kleben so förmlich an der Dosenwand und können nicht durcheinanderfallen und sich gegenseitig beschädigen. Auf jeden Fall gehören in oder zu den Dosen Angaben zum Fundtag und Fundort, aber auch weitere Angaben wie Schlupfsubstrat, Höhe über Wasser, Abstand zur Wasserlinie (Ufer), Exposition (z.B. Nordostufer), Position (waagerecht; 30° über Horizontale, ...) usw. können vermerkt werden. Landmann (1985) hat einen umfangreichen Erhebungsbogen vorgestellt, der jedoch nur für eine intensive Beschäftigung mit Exuvien gedacht ist. Der Laie vermerke aber bitte Fundort und -datum, sonst sind die Exuvien nur noch halb so viel wert. Die Angaben können auf Klebeetiketten geschrieben und auf das Behältnis geklebt oder als einfacher Zettel in das Behältnis gelegt werden.
Zur Bestimmung sind neben der Bestimmungsliteratur (z.B. Heidemann & Seidenbusch 1993 und Gerken & Sternberg 1999) verschiedene Geräte notwendig. Zwar reicht als Vergrößerungsinstrument in den meisten Fällen eine stark (mindestens 10x) vergrößernde Lupe, doch haben sich Binokulare, auch Stereolupe genannt (ein Mikroskop mit zwei Okularen), bewährt. Binokulare mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis stellt z.B. die Firma NOVEX, Niederlande, her. Sie erreichen zwar nicht die Qualität wie diejenigen der Firmen ZEISS oder LEICA, doch sind sie mit ca. 250 € recht preiswert. Wichtig ist, dass die Exuvie von oben beleuchtet wird, sonst sieht man nur ihren Schatten. Die Vergrößerung sollte mindestens 10x sein, besser sind 40x oder 60x vergrößernde Binokulare, besonders für die Bestimmung von Kleinlibellenexuvien. Daneben braucht man noch einige Nadeln, um bestimmte Teile freizulegen. Hilfreich ist hier der Kauf eines sogenannten Präparier- oder Mikroskopierbestecks. In ihm sind alle benötigten Utensilien vorhanden.
Abb. 2: Binokular AP-4 der Firma NOVEX, Niederlande
Bei der Bestimmung sollte man nicht über das Ziel hinausschiessen. Es ist oft besser, bei fragwürdigen Exuvien nur bis zur Familie oder Gattung zu bestimmen als sich bis zur Art durchzuschlingern. So werden Fehlinterpretationen vermieden, und es werden sehr seltene Arten nicht an ein Gewässer gedichtet, welches sie gar nicht bewohnen.
Da das Bestimmen der Exuvien, besonders der von Kleinlibellen, nicht sehr einfach ist und in den Bestimmungsbüchern oft nur Fachausdrücke verwendet werden, fällt es dem Anfänger nicht leicht, Exuvien richtig zu bestimmen. Für diese Leute, aber auch für jene, die sich nicht sicher sind bei der Bestimmung einer bestimmten Art (sei es, weil bestimmte Merkmale fehlen oder weil die Art so selten ist, dass sich der Finder von einer unabhängigen Stelle vergewissern will, ob er auch richtig bestimmt hat) ist der Kontakt zu Anderen, zu Experten wichtig. Da diese dem Anfänger oft nicht bekannt sind oder er zuviel Respekt vor einem Menschen mit "Dr." im Namen hat, bieten einige Vereine auch Seminare an, die sich mit dem Thema "richtige Bestimmung von Libellenexuvien" beschäftigen und meistens nur ein Wochenende dauern.
zum Schlupf zur Imago
Literatur, die erwähnt wurde:
Heidemann, H. & R. Seidenbusch (1993): Die Libellenlarven Deutschlands und Frankreichs - Handbuch für Exuviensammler. Keltern: Erna Bauer
Gerken, B. & K. Sternberg (1999): Die Exuvien europäischer Libellen. Höxter, Jena: Arnika & Eisvogel
Landmann, A. (1985): Ein Erhebungsformular für Exuvienfunde - Hilfsmittel zur Bereicherung unseres Wissens über die Biologie des Schlüpfens bei Libellen (Insecta: Odonata), Libellula 4: 148 - 157
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