Nach dem Aushärten der Flügel startet die junge Libelle zu ihrem ersten Flug, dem Jungfernflug. Er f�hrt sie weg vom Geburtsgewässer, damit die Libelle reifen (erwachsen werden) kann. Würde sie am Gewässer bleiben, wäre ein Weibchen sofort von Männchen zur Paarung aufgegriffen worden, ein Männchen gelte als Konkurrent und würde von älteren Männchen vertrieben werden. Um aber in Ruhe reifen zu können fliegt das frisch geschlüpfte Tier vom Gewässer in die nähere oder weitere Umgebung ab (Abb. 1). Aus diesem Grund sieht man manchmal Libellen an Orten, an denen man sie �berhaupt nicht vermutet hätte, und die bis zu einigen Kilometern vom nächsten potenziellen Habitat (Brutgewässer) entfernt liegen. Hier, weit weg vom Schlupfort, wo der innerartliche Druck auf das Individuum sehr viel geringer ist als am Heimatgewässer (keine Paarungsversuche, keine Revierkämpfe), kann die Libelle reifen: Ihre Farben prägen sich endgültig aus, der gesamte Körper härtet weiter, und die Geschlechtsorgane entwickeln sich vollständig. Während dieser Zeit ist es Libellen auch möglich neue Gebiete zu erschließen, wie neu angelegte Teiche (Gartenteiche, Naturschutzteiche, ...), Gewässer in Abbaugebieten (Kiesgrube, Sandgrube, ...) oder neue Gräben und Bachläufe (neu angelegte Be- und Entwässerungsgräben, renaturierte Bachläufe, ...). Diese Reifungsphase dauert je nach Art unterschiedlich lange, sie reicht von wenigen Tagen bei den Kleinlibellen bis zu 2 - 3 Wochen bei Großlibellen.
Abb. 1: junges Weibchen des Großen Blaupfeils (Orthetrum cancellatum)
Nach dieser Zeit zieht es die Libelle wieder zurück an ihr Schlupfgewässer, oder sie verbleibt am neu besiedelten Gewässer, um sich hier zu paaren. Die Männchen besetzen Reviere, die unterschiedlich groß sind. (Die besten Reviere halten natürlich die stärksten Männchen.) Bei Kleinlibellen können sie wenige Quadratdezimeter klein sein, manche Großlibellenmännchen besetzen aber auch Reviere mit bis zu fünfzig Metern Uferlänge. Hier patroullieren sie auf und ab, vertreiben Rivalen und warten auf die Weibchen. Sobald sich ein Weibchen blicken lässt, wird es vom Männchen ergriffen und zur Paarung aufgefordert. Lediglich die Männchen der Prachtlibellen (Calopterygidae; sie haben eine sehr markante blaue Flügelfarbe), werben mit ihren Flügeln um die Gunst der Weibchen, sie balzen also. Diese Zeit der Paarungsbereitschaft dauert bei Kleinlibellen etwa 1 - 2 Wochen, bei Großlibellen etwa 4 - 6 Wochen.
Mit dem Ende der Paarungsbereitschaft ist auch die biologische Uhr der Tiere abgelaufen. Sie haben ihre Aufgabe, die Vermehrung und damit die Sicherung der Art, erfüllt, die Tiere sterben. Die Libellen haben als vollständig entwickeltes Insekt also nur eine kurze Lebenserwartung von wenigen Wochen (1 - 2 Wochen bei Kleinlibellen, 6 - 8 Wochen bei Großlibellen), mitunter ist ihre Zeit als reifes Insekt sehr viel kürzer als die Larven-periode (z.B. Gestreifte Quelljungfer (Cordulegaster bidentata): bis zu 5 Jahre larvale Entwicklungszeit, etwa 7 Wochen Reifungs- und Paarungszeit). Es gibt jedoch eine Ausnahme: Exemplare der Gattung Winterlibellen (Sympecma, Abb. 2), von denen in Deutschland zwei Arten vorkommen, überwintern als Imago und leben bis zu 11 Monate. Die meiste Zeit jedoch befinden sie sich im Ruhezustand, versteckt an Wärmeinseln in der Natur (windgeschützte, sonnige Gebiete).
Abb. 2: Die Gemeine Winterlibelle (Sympecma fusca) ist neben ihrer seltenen Schwesterart die einzige Libelle in Mitteleuropa, die als Imago überwintert.
Wie alle Insekten sind die Libellen kaltblütig, sie passen also ihre Körpertemperatur der Umgebungstemperatur an. So kann man morgens oft Libellen sehen, die, vom Tau bedeckt, regungslos an Pflanzenstengeln sitzen und auch nicht wegfliegen, wenn man sich ihnen nähert oder gar berührt. Ihre Körpertemperatur ist zu niedrig, die Muskeln können nicht bewegt werden, das Tier ist also in einer Art Kältestarre. Erst mit zunehmendem Sonnenstand und zunehmender Temperatur erwärmt sich auch die Libelle. Ist die Libelle nur noch wenige zehntel Grade von ihrer "Betriebstemperatur" entfernt, kann man besonders bei Großlibellen beobachten, wie sie mit einem Flügelzittern den Aufwärmprozess aktiv unterstützen. Endlich ist ihr Körper so warm, dass sie fliegen kann. Wie verhält sich aber eine Libelle bei zuviel Wärme? Kann sie schwitzen? Nein, sie kann es nicht, aber trotzdem ist es ihr möglich die Körpertemperatur zu regeln. Dazu nimmt sie die Obeliskstellung (Abb. 3) ein: Sie streckt ihren Hinterleib soweit in die Höhe und der Sonne entgegen, dass ihr Schatten minimal wird, also so, dass ihr Körper möglichst wenig direkter Sonnenbestrahlung ausgesetzt ist.
Abb. 3: Ein Männchen der Blutroten Heidelibelle (Sympetrum sanguineum) reguliert in der hei�en Nachmittagssonne seine Körpertemperatur, indem es die sogenannte "Obeliskstellung" einnimmt.
Zumindest die Großlibellen haben einen ausgeprägten Geschlechtdimorphismus, was bedeutet, dass sich Männchen und Weibchen stark in ihrer Färbung unterscheiden. Die Männchen sind zumeist bunter, während die Weibchen eher gedeckt, in braunen Tönen gefärbt sind (Abb. 4 und 5). Bei Kleinlibellen ist dies genauso, nur sind hier die Unterschiede nicht ganz so groß. Einige Weibchen einzelner Kleinlibellenarten sind sogar vollständig so gefärbt wie die Männchen. Besonders bei Tieren der Gattung Binsenjungfern (Lestes) ist die Geschlechterunterscheidung aus der Ferne auf Grund der gleichen Färbung nicht sehr einfach.
Abb. 4 und 5: Bei der Gemeinen Winterlibelle (Sympecma fusca, Abb.4, links) sind Männchen (oben) und Weibchen (unten) gleich gefärbt, während bei der Blutroten Heidelibelle (Sympetrum sanguineum, Abb. 5, rechts) die Färbung des Weibchens (unten) deutlich eine andere ist als die des Männchens (oben).
Manchmal kommt es wegen sehr guter äußerer Umstände (Wetter, kein Feinddruck, Nahrungsangebot) zu einer Massenentwicklung von Larven, die dann mitunter auch in einen Massen-schlupf münden kann. Dies wird allgemein als Ursache für das Phänomen des Libellenzuges angesehen. Er ist, so lässt sich anhand der historischen Literatur sagen, seltener geworden, allerdings wurde er auch früher nicht sehr oft oder gar regelmäßig beobachtet. Die Libellenschwärme erreichen oft riesige Ausmaße. Im 19. Jahrhundert wurde ein Schwarm beobachtet mit geschätzten 2,5 Millionen Tieren. Ein neuerer Bericht über einen Libellenzug stammt von Schaub aus dem Jahr 1996. Er beobachtete an der Kurischen Nehrung (Ostsee, Russland, Gebiet Kaliningrad [Königsberg]) einen Schwarm des Vierflecks (Libellula quadrimaculata), einer Libelle, die fast in allen Berichten über einen Massenzug erwähnt wird. Während dreier Stunden beobachtete er den Zug, der in der Zeit der größten Dichte etwa 9.000 bis 10.000 Exemplare pro Stunde enthielt. Die Ursachen für einen Zug sind noch ungeklärt, da aber zumeist junge Tiere gesehen werden ist, wie eben gesagt, anzunehmen, dass die Massenentwicklung von Arten dafür verantwortlich ist.
zur Exuvie zur Paarung
Literatur, die erwähnt wurde:
Schaub, M. (1997): Ein Massenzug von Libellula quadrimaculata L. entlang der Kurischen Nehrung (Anisoptera: Libellulidae). Libellula 16: 181 - 184
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