Aus dem Ei schlüpft nach wenigen Wochen (minimal 3-4) oder auch erst im nächsten Frühjahr die Prolarve. Die Kleinlibellenlarven sprengen die Eihülle mit dem Kopf, die Großlibellenlarven zerschneiden die Eihülle mit dem Eizahn, einer Art Rasierklinge am Kopf. Nach der Berührung mit Wasser häuten sich die Prolarven sofort zur Larve. Somit dauert das Stadium Prolarve meist nur wenige Sekunden. Einige Prolarven verfügen über eine Besonderheit: Wenn sie über Land schlüpfen, können sie sich hüpfend zum Wasser bewegen, um sich dort zu häuten. Dies ist bei den Larven der Gemeinen Weidenjungfer (Lestes viridis) der Fall. Andere Prolarven verfügen nicht über eine solche Fähigkeit; sie sterben oft nur wenige Millimeter vom Wasser entfernt.
Abb. 1: schlüpfende Prolarve der Gemeinen Weidenjungfer (Lestes viridis)
Mit der ausgewachsenen Libelle hat die frisch geschlüpfte Larve nicht viele Gemeinsamkeiten. Zwar besitzt sie ein langes, zehngliedriges Abdomen, doch fehlen ihr vorerst die Flügel bzw. die Flügelansätze. Da auch die Larve von einem nicht mitwachsenden Chitinpanzer umgeben ist, muss sie sich mehrmals (zwischen 7 und 15 mal) häuten. Dabei werden die Flügeltaschen immer größer, aber niemals auch nur annähernd so groß wie die Flügel des vollentwickelten Insekts.
Die Larve ist, genau wie die Imago (das fliegende Insekt), ein Fleischfresser. Sie ist jedoch kein schneller Jäger, sondern ein Ansitzjäger. Die Beute wird mittels der Antennen wahrgenommen, außerdem muss sich die Beute genau vor dem Kopf befinden, weil sich die Fangmaske nicht und der Kopf nur gering seitlich verdrehen lassen. Diese Fangmaske ist eine besondere Ausprägung der Unterlippe und einmalig in der Tierwelt. Hat sich ein Beutetier der Libellenlarve dicht genug genähert, schnellt die Fangmaske innerhalb von 20 ms (0,02 s!) vor, greift die Beute mit den zwei vorderen, beweglichen und starken Zähnen (Labialpalpus) und wird dann wieder zurück gezogen. Die Funktionsweise kann man sich bei einem Menschen so vorstellen: In Wartestellung liegen die Oberarme auf der Brust, die Arme liegen am Körper an, die Hände befinden sich vor dem Mund. Ist die Beute in greifbarer Nähe, werden die Arme urplötzlich gestreckt, die Hände greifen die Beute und die Finger bohren sich in sie. Dann werden die Arme wieder angewinkelt, und mit der Beute vor dem Mund kann die Nahrungsaufnahme beginnen.
Abb. 2: Fangmaske einer Gro�libelle, vorgeklappt
nach Bellmann
Kleinlibellenlarven halten sich in der Unterwasservegetation verborgen, während sich einige Großlibellenlarven auch eingraben können, so dass nur der Kopf und die Procte aus dem Sand herausblicken. Die Procte sind die Hinterleibsanhänge der Larven. Mittels dieser ist auch schnell die Unterordnung bestimmbar: Kleinlibellenlarven haben große, blattförmige Procte, Großlibellenlarven haben kurze, spitze Procte. Früher nahm man an, dass die Procte der Kleinlibellenlarve ausschließlich der Atmung dienen. Als man diese aber in einem Experiment amputierte, überlebten die Tiere. Heute weiss man, dass sie die Atmung nur unterstützen. Die Procte der Kleinlibellenlarven haben außerdem eine ähnliche Eigenschaft wie ein Eidechsenschwanz: Sie können bei Gefahr abgeworfen werden und wachsen nach.
Die eigentliche Sauerstoffaufnahme erfolgt über einen bestimmten Teil des Enddarms, der Kiemenkammer. Sie besteht aus sehr vielen Hautfältchen, in die verzweigte Tracheen münden. Durch sie wird der aus dem Wasser gefilterte Sauerstoff aufgenommen und in den Körper weitergeleitet.
Abb. 3: Libellenlarven, links Gro�libellenlarve (Gemeine Heidelibelle, Sympetrum vulgatum),
rechts Kleinlibellenlarve (Weibchen der Gemeinen Binsenjungfer, Lestes sponsa)
nach Bellmann
Zur Fortbewegung benutzen die Larven, im Gegensatz zu den Imagines, ihre Beine. Bei Gefahr jedoch ist es den Kleinlibellenlarven möglich, ihre Procte als Schwimmpaddel zu benutzen. Sie schwimmen dann aktiv in schlängelnden Bewegungen, so wie ein Fisch. Bei den Großlibellenlarven sind die Procte sehr klein. Mit ihrer Hilfe können sie sich nicht fortbewegen. Diese Larven haben dazu ein anderes, wiederum hochinteressantes und einzigartiges Hilfsmittel entwickelt: Das Wasser, welches ständig eingesogen und ausgestoßen wird, um daraus den notwendigen Sauerstoff zu gewinnen, kann auch urplötzlich ausgestoßen werden. Durch den Rückstoß gelangen so die Larven ein gutes Stück vorwärts.
Nach von Art zu Art stark unterschiedlicher Zeit (40 Tage bis 5 Jahre) macht sich die Larve bereit, ein voll entwickeltes Insekt zu werden. Libellen sind Insekten mit unvollständiger Entwicklung, sie haben im Gegensatz zu Insekten mit vollständiger Entwicklung (etwa Schmetterlingen oder Fliegen) kein Puppenstadium. Da die Imago körperlich anders gebaut ist als die Larve, muss sich diese nun verändern. (Floericke (1922) beschreibt den Unterschied zwischen Larve und Imago sehr bildreich. Zur Larve: "Da kriecht ein braunes, häßliches und schmutziges, fast 4 cm langes Etwas auf sechs dürren, weit nach dem Kopf zu vorgerückten Spinnenbeinen am Boden, schwenkt seinen wurstförmigen Hinterleib, hat einen widerwärtig plumpen, roh gezackten Rücken und einen scheußlichen Krötenkopf. Eine Libellenlarve ist's ..." Zur Imago: "Sie gehören zu den Charaktertieren unserer Sommermonate und bilden dann mit ihren schneidigen Flug und ihrem märchenhaften Farbengefunkel eine hervorragende Zierde wasserreicher Landschaften." Abb. 4 und 5 zeigen den Unterschied und verdeutlichen seine Einschätzung). Die Larve, kurz vor ihrer letzten Häutung, bewegt sich zum Ufer und nahe an die Wasseroberfläche, stellt die Nahrungsaufnahme ein, weil sich die Unterlippe verändert, die endgültige Färbung schimmert durch den Chitinpanzer, die Flügeladern werden deutlich sichtbar. Die Atmung wird auf Luftsauerstoff umgestellt.
Abb. 4 (links): Larve der Kleinen Zangenlibelle (Onychogomphus forcipatus)
Abb. 5 (rechts): Männchen der Kleinen Zangenlibelle (Onychogomphus forcipatus)
Körperlänge Larve: 22 - 25 mm (nach Heidemann & Seidenbusch)
Körperlänge Imago: ca. 55 mm
(die Kopfbreite ist bei beiden Tieren ungefähr gleich)
Schließlich, eines Morgens, klettert die Larve aus dem Wasser, verankert ihre Füße fest im jeweiligen Untergrund - und der Schlupf kann beginnen.
zum Ei zum Schlupf
Literatur, die erwähnt wurde:
Bellmann, H. (1993): Libellen: beobachten - bestimmen. Augsburg: Naturbuch-Verl.
Floericke, K. (1922): Heuschrecken und Libellen. Stuttgart: Franckh'sche Verlagshandl.
Heidemann, H. & R. Seidenbusch (1993): Die Libellenlarven Deutschlands und Frankreichs - Handbuch für Exuviensammler. Keltern: Erna Bauer
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